Rezension von Carrera - Start Frei


(Diese Rezension basiert auf einem Rezensionsexemplar, das uns freundlicherweise vom Verlag Carrera Table Top Games bereitgestellt wurde.)

Rezension

Start frei
Sonntags wurde in meiner Familie oft die Carrera-Bahn herausgeholt und Familienrennen veranstaltet. Da wir gleich zwei kompatible vierspurige Bahnen hatten, waren das immer Sonntagshighlights. Leider waren diese Bahnen dann irgendwann kaputt... Dieses Jahr bringt der Verlag Stadlbauer drei Carrera-Brettspiele heraus. Dem Kartenspiel der Carrera-Reihe, Gib gas!, konnte ich nicht allzu viel abgewinnen, was auch daran lag, dass wenig Carrera-Feeling aufkam. Lag ́s nur an Karten? Das Hauptspiel Start frei bietet sogar Rennstreckenstücke zum ineinanderstecken – das kannte man schon von der Carrerabahn!

Thema und Ziel des Spieles
Wer nach zwei Runden als Erstes auf einer der acht verschiedenen vorgegebenen Strecken (oder einer selbst erdachten) ins Ziel fährt, hat gewonnen. Vorwärts geht’s dabei mit einer Würfel- Gangschaltung und einem Deck von sechs Karten, welche den unterschiedlichen Tücken der Rennstrecke angepasst werden sollten.

Spielablauf
Bewaffnet mit einem Steuerknüppel und sechs Handkarten starten wir in das Rennen. Der Steuerknüppel ist tricky: Wir starten im ersten von vier Gängen. Die Höhe des gerade eingelegten Ganges wirkt sich automatisch auf unsere Geschwindigkeit aus, denn im ersten Gang dürfen wir nur einen recht schwachen Würfel einsetzen (Würfelzahlen: 0,0,1,1,1,2), mit dem vierten dagegen (Würfelzahlen: 4,4,4,4,5,5) kommt man dagegen wesentlich schneller voran. Die Rennstrecke besteht aus zweispurigen Carrera-Streckenstücken, die in der ersten Runde nach und nach ausgelegt werden, bis in der zweiten Rennrunde der nun vollständig ausgelegte Parcours ein zweites Mal durchfahren wird. Reihum spielen wir immer gleichzeitig eine unserer sechs Handkarten aus, die alle unterschiedliche Ordnungszahlen besitzen. Aufsteigend von der kleinsten Ordnungszahl wird die Spielerreihenfolge einer jeder der sechs Kartendurchgänge festgelegt. Die Karten nun bestimmen, wie wir unser Rennauto bewegen können, beispielsweise erst einen Gang hoch oder runter Schalten, anschließend Gas geben (in diesem Falle würfeln). Oder nur Gas geben, oder Gas geben und zusätzlich den Würfel um eine Augenzahl verändern. Aufs Gaspedal treten möchte man, weil wir einerseits nicht auf andere Rennwagen fahren sollten (sonst müssen wir abbremsen und einen Gang runterschalten) und andererseits auf einigen Rennstreckenfeldern Schikanen aufgezeichnet sind, dir wir nicht einfach überfahren können, sondern ansteuern müssen, ansonsten gilt auch hier: abbremsen und ein oder zwei Gänge runterschalten. Wenn wir ein Auto überholen möchten, so müssen wir dies vorher Ansagen und dürfen dann einen weiteren, Drag-Reduction- ystem-Würfel, kurz DRS-Würfel genannt, zur Hilfe nehmen. Dieser kann uns eine höhere Würfelsumme bescheren, aber auch das Überholmanöver scheitern lassen, wofür wir allerdings eine Bonusaktion erhalten. Nachdem wir alle unsere sechs Handkarten abgespielt haben, kommt eine Boxenstoppphase, in der wir möglicherweise bessere Handkarten kaufen und gegen eine unserer Karten austauschen können. Kaufen können wir diese Karten mit Erfahrungspunkten, die wir zuvor für erfolgreiche Überholmanöver und/oder passendes Schikanenanfahren erworben haben. Der erste und zweite Spieler, die in dieser Boxenstopphase passen, erhalten zwei bzw. eine zusätzliche Sofortaktion für ihr Rennauto. Anschließend geht es mit den aktuellen Handkarten in die neue Kartenrunde.

Gesamteindruck
Ob das Thema Autorennen und Carrerabahnfahren nun den wenigsten Brettspielerinnen und - spielern liegt oder nicht, die enthaltenen Spielmechanismen lassen ein wunderbares Spiel erwarten: variable Spielerreihenfolge, die durch die gewählte Handkarte bestimmt wird; Deckbau, der auf die jeweiligen Widrigkeiten der aktuellen Strecke angepasst werden muss; ein Gangschaltgetriebe, welches mir unterschiedliche Geschwindigkeiten ermöglicht; modulierbare Streckenteile mit Fahrspurwechseln im Carrera-Look. Das Schachtelcover lockt tatsächlich keinen Brettspieler hinterm Ofen hervor. Muss es ja auch nicht. Solange Spiele durch begeisterndes Spielgefühl anstecken, ist dies Brettspielern erfahrungsgemäß herzlich egal, da kann Spieldesign und -grafik noch so thematisch neben den Geschmäckern liegen. Doch auch hier besitzt Start frei leider keine große Anziehungskraft. Während die Spielmechanik für geübte Brettspieler zu wenig ineinandergreift, vermissen Carrerafans das schnelle Rennbahnfeeling und jüngere Spieler sind schlichtweg mit dem Management und den verschiedenen Regeln für Überholen, Deckbau und Erfahrungspunkten überfordert.

Schon bei der Spiellogik klemmt es: Zwar bewegen sich bis zu vier Rennautos auf zwei Carrera- Rennspuren und können diese durch die bekannten Carrerstrecken-Fahrbahnwechsel wechseln, trotzdem finden die Überholmanöver innerhalb einer Spur statt – das wäre in der Realität gar nicht möglich. Hier hätten sich die Redakteure vielleicht mal an die reale, vierspurige Schienenvariante von Carrera erinnern können. Mit den farbigen Schikanenfeldern wiederum wurde versucht, enge Kurve abzubilden, in denen, wie bei der Carrerabahn, nicht einfach Vollgas durchgefahren werden kann, sondern die mit Gefühl und Bedacht genommen werden müssen, weil man sonst Gefahr läuft, von der Strecke zu fliegen. Die Schikanen können aber bei einem Überholvorgang ignoriert werden, wenn schon ein anderes Auto auf ihnen steht – Logik ist etwas anderes. Beides wäre aber zu verschmerzen, wenn nicht ständig Sand im Getriebe der Spielmechanik wäre: Da ist der Deckbuiling-Mechanismus, der nicht funktioniert, weil es kaum bessere und schlechtere Karten gibt, sondern die Karten tatsächlich alle immer nur so gut sind wie meine aktuelle Position vor, zwischen oder hinter den Gegnern oder Schikanen. Dadurch, dass oben auf dem Kartenstapel A- Karten liegen und erst sehr weit unten die B-Karten verfügbar sind, ist der Mechanismus eigentlich darauf angelegt, Karten nachzukaufen, damit die vermeintlich besseren B-Karten dann auch endlich mal ins Spiel kommen, wozu es aber so gut wie nie kommt. Da beißt sich die Katze auch oftmals in den Schwanz: Diejenigen, die sich Karten gekauft haben, können die Sonderfunktionen oftmals nicht einsetzen, weil die dafür nötigen Coins beim Karten-Shoppen draufgegangen sind; diejenigen, die Coins ohne Ende besitzen, haben keine Karten um sie einzusetzen. Viel besser als Karten zu kaufen, ist sowieso gleich zu passen und zwei bzw. eine Extra-Würfelaktion in Anspruch zu nehmen, dass können mitunter gleich zwei Züge mehr sein, als die Konkurrenten besitzen. So passiert es leicht, dass die weit abgeschlagenen Rennautos nach einem Boxenstopp gleich wieder voll im Rennen sind. Prinzipiell habe ich nichts dagegen, wenn verhindert wird, dass Spieler zu weit zurückfallen können, aber wenn der Letzte unablässig wieder nach vorne gepusht wird, fühlt sich das in einem Rennspiel nicht gut an. Dasselbe mit dem DRS-Würfel, den ich mitwürfeln muss, wenn ich ein Überholmanöver starte. Einerseits kann er für mich einen Vorteil bedeuten, weil er mir zusätzliche Geschwindigkeit geben kann, andererseits ist es unglaublich nervig, wenn ich zum dritten Mal hintereinander ein Überholmanöver starte und jedes Mal aufgrund des Würfels scheitert. Selbst wenn ich auf den Würfel verzichten wollte – nein, er ist obligatorisch. Die das Würfelpech ausgleichenden Trostpflaster sind da auch so ein Ärgernis: Der Extrawürfel ist immens stark, weil gleich noch einmal gewürfelt werden kann, die beiden anderen Möglichkeiten sind dagegen viel schwächer.

Start frei will ein Rennspiel im Carreralook sein, aber als Rennspiel funktioniert es nicht, weil zu viele Mechanismen das Rennthema ausbremsen: DRS-Würfel, das ungewisse Kartenausspielen der Mitspieler, die Schikanen. Hinzukommt, dass die Regeln nicht wirklich eingängig sind und immer wieder nachgeschlagen werden muss: Muss ich ansagen, ob ich die Spur wechsel? (Nein, nur in Zusammenhang mit einem Überholmanöver) Verliere ich meinen Erfahrungscoin, wenn ich die Spur zwar wechseln wollte, aber diese gar nicht erreiche? (Nein) Muss ich runterschalten, wenn ich für ein Überholmanöver zwar ausreichend gewürfelt habe, aber dieser fehlschlägt? (Nein) Das simple Gas-oder-nicht-Gas-geben der Carrerabahn war da irgendwie entspannter.

Fazit
Start frei ist kein schlechtes Spiel, aber empfehlen würde ich es nicht, weder Carrera-Fans, noch Brettspielern. Einen respektablen Start kann man Stadlbauer für die drei Brettspiele trotzdem attestieren. Die Materialqualität stimmt, als Autoren konnten bekannte Namen gewonnen werden. Flizz & Miez wurde von der Jury Spiel des Jahres in der Kategorie Kinderspiel nominiert , auch die Wiener Spiele Akademie zeichnete es aus.



28. November 2014 - (Jan Drewitz)

Rezensionsbilder