Rezension von Helvetia


(Diese Rezension basiert auf einem Rezensionsexemplar, das uns freundlicherweise von KOSMOS bereitgestellt wurde.)

Rezension

In "Helvetia" baut jeder Spieler sein eigenes kleines Dörfchen in der wunderschönen Schweiz zu Beginn des 19. Jahrhunderts. Zum Glück liegen die Nachbardörfer nicht weit entfernt. So können die Spieler ihren Nachwuchs in die anderen Dörfer einheiraten lassen. Natürlich nicht ohne Hintergedanken - schließlich kann man nicht alle Waren zum Ausbau des eigenen Dorfes selber produzieren.

Spielziel
Durch das Liefern von Gütern auf den Markt, das Erfüllen von bestimmten Zielen, die Errichtung wichtiger Gebäude, oder durch die Gunst von bestimmten Personen, führen die Spieler ihr Dorf zum Wohlstand und in eine neue Ära der Blüte.

Spielausstattung
Der kompakte Spielplan zeigt neben der Siegpunktleiste den Warenmarkt, die Schule und die fünf Persönlichkeiten, welche für die möglichen Aktionen stehen. Die 64 Dorfbewohner (je 16 in 4 Farben) unterteilen sich in Männlein und Weiblein und müssen vor dem Spiel auf der Unterseite mit einem Aufkleber versehen werden, welcher ein Kind symbolisiert. Die 54 quadratischen Gebäudeplättchen unterteilen sich in Produktionsgebäude, Tauschgebäude und Siegpunktgebäude. Auf der Rückseite tragen sie entweder einen Buchstaben (A bis E) oder eine Zahl (1 bis 3). Daneben gibt es noch 10 Güterplättchen, 6 Bonusplättchen, 1 Startspielerplättchen, 5 Personenplättchen, 5 rechteckige Dorfplättchen, sowie 24 Münzen (je 6 in 4 Farben) und 68 Liefersteine (je 17 in 4 Farben) aus Holz.

Spiel-Vorbereitungen
Der Spielplan wird in die Tischmitte gelegt und mit den Personen- und Güterplättchen versehen. Ein Spieler erhält das Startspielerplättchen. Die Gebäudeplättchen werden nach den Zahlen auf der Rückseite sortiert und gemischt. Die Gebäude mit der 1 kommen aufgedeckt neben den Spielplan. Die Gebäude mit den Buchstaben werden nach bestimmten Regeln an die Spieler verteilt, sodass jeder drei Gebäude unterschiedlichen Typs hat. Jeder Spieler erhält eine Dorfmitte und legt seine Gebäude an diese an. Außerdem erhält jeder Spieler 16 Dorfbewohner, 6 Münzen und 17 Liefersteine einer Farbe. Ein Lieferstein kommt auf das Feld 0 der Siegpunktleiste. Dann werden von jedem Spieler 6 Figuren (3 Paare) wie folgt verteilt: 3 Figuren auf die Gebäude, 1 in die Dorfmitte, 1 in die Schule und 1 heiratet passend in ein Gebäude des linken Nachbarn. Die Figuren werden aufrecht hingestellt und sind somit "wach". Von den Münzen legt jeder Spieler je 1 in die Dorfmitte der beiden Spieler zu seiner Rechten.

Spielablauf
Reihum legt jeder Spieler in seinem Zug ein oder mehrere seiner Spielsteine auf eine Persönlichkeit und führt sofort die entsprechende Aktion ein- oder mehrmals aus. Dies geht so lange, bis alle Spieler bis auf einen ihre Münzen ausgespielt haben, dann ist die laufende Runde zu Ende und es wird eine Zwischenphase eingeläutet.

Für bestimmte Aktionen müssen "Güter" produziert werden. Ein einzelnes Gut, wie beispielsweise "Stroh", wird produziert, indem man einen eigenen Bewohner auf dem entsprechenden Gebäude schlafen legt. Für ein komplexes Gut muss eine Produktionskette ausgeführt werden. Das bedeutet, dass die Güter von mehreren Gebäuden benötigt werden und die entsprechenden eigenen Bewohner schlafen gehen. Eine "Kuh" benötigt zum Beispiel "Stroh". Der Spieler muss in beiden Gebäuden einen wachen Bewohner haben und diese schlafen legen, um eine "Kuh" zu produzieren.

Die Persönlichkeiten (Aktionen) im Einzelnen:

Baumeister
Für je eine Münze kann mit dem Baumeister ein neues Gebäude errichtet werden. Der Spieler nimmt ein offenes Gebäude aus der Auslage und "produziert" die dort abgebildeten Güter. Das Gebäude legt er direkt an seine Dorfmitte an. Befinden sich in der Dorfmitte Bewohner, wird sofort einer auf das neue Gebäude gestellt. Für je eine Münze kann der Spieler zusätzlich die Güter Holz, Stein und Ziegel beim Baumeister erwerben, falls diese ihm für den Bau eines Gebäudes fehlen.

Fuhrmann
Für je eine Münze kann der Spieler ein Gut "produzieren" und mit dem Fuhrmann zum Markt liefern. Dies wird auf dem Spielplan markiert, indem der Spieler einen seiner Liefersteine auf das entsprechende Feld legt. Auf jedem Feld darf immer nur ein Spielstein der eigenen Farbe liegen. Das bedeutet also, dass jedes Gut nur einmal pro Spieler geliefert werden kann. Für komplexe Güter darf sich der erste Spieler das entsprechende Güterplättchen nehmen und sichert sich somit Bonuspunkte.

Nachtwächter
Für jede Münze weckt der Nachtwächter alle Bewohner (eigene und fremde) eines Dorfvierteles auf. Ein Dorfviertel besteht immer aus den Gebäuden, welche an einem gedachten Viertel der Dorfmitte liegen.

Pfarrer
Für je eine Münze verheiratet der Pfarrer einen eigenen Bewohner aus der Schule oder aus der Dorfmitte mit einem Bewohner eines Mitspielers. Dazu stellt man seinen Bewohner auf das Gebäude eines Mitspielers, auf dem sich ein Bewohner des anderen Geschlechts befindet. Dieses Gebäude kann ab sofort genutzt werden. Zusätzlich nimmt sich der Spieler eine Münze aus der Dorfmitte des Mitspielers, sofern sich dort noch welche befinden.

Hebamme
Die Hebamme sorgt für Nachwuchs. Jedes Pärchen darf pro Zug im eigenen Dorf für je eine Münze genau ein Kind bekommen. Das Geschlecht wählt der Spieler aus und stellt die Figur gekippt auf das entsprechende Gebäude.

Während des Spiels erhalten diejenigen Spieler noch Bonusplättchen, welche zuerst einen kompletten Produktionszweig auf dem Markt beliefern, oder zuerst ihr Dorf komplett umbaut haben.

Ist die laufende Runde zu Ende, erhält der Spieler, der noch Münzen übrig hat, das Startspielerplättchen. Anschließend erhält der Spieler, welcher die meisten Münzen bei einer Person liegen hat, das entsprechende Personenplättchen. Jedes Personenplättchen erlaubt pro Runde eine zusätzliche Aktion bei der jeweiligen Person, ohne eine Münze einzusetzen. Alle Spieler nehmen ihre Münzen wieder zurück. Die Bewohner in der Schule werden auf die entsprechenden Dörfer der Spieler verteilt. Sie werden sofort in freie Gebäude platziert oder, wenn keines mehr frei ist, in die Dorfmitte gestellt. Alle Kinder kommen in die Schule. Zum Schluss werden noch die Siegpunkte angepasst. Je 1 Siegpunkt wert sind: das Startspielerplättchen, jeder Lieferstein auf dem Markt und jedes Personenplättchen. Hinzu kommen die Bonuspunkte (1 bis 4) für die Güterplättchen, die Bonusplättchen und für die Siegpunktgebäude. Hat nun ein Spieler 20 oder mehr Siegpunkte, endet das Spiel sofort und der Spieler mit den meisten Punkten ist der Gewinner. Ansonsten werden fünf neue Gebäude aufgedeckt und es beginnt eine neue Runde.

Gesamteindruck
Insgesamt ist das Material bei "Helvetia" sehr gut und die Aufmachung sehr ansprechend. Allerdings hat uns zunächst das Cover etwas abgeschreckt und uns nicht ein solches Spiel dahinter vermuten lassen. Die Anleitung ist zwar sehr ausführlich, wirkt aber etwas unstrukturiert. Die Spielvorbereitung und der Ablauf hören sich zunächst komplizierter an, als sie tatsächlich sind. Zunächst muss man verinnerlichen, dass die eigenen Figuren bei den Mitspielern einheiraten können und am Anfang eigene Münzen als Mitgift bei den Mitspielern liegen. Ähnliches gilt für die "Produktionsketten". Einfache Güter werden einfach hergestellt, in dem man eine entsprechende Figur schlafen legt. Für ein komplexes Gut müssen gleich zwei oder drei Figuren arbeiten, um zu dem gewünschten Ergebnis zu kommen.

Die Spieler stehen immer im Konflikt, welche Aktion sie nun nutzen. Soll ich zuerst Gebäude bauen, um an wichtige Güter zu kommen oder lieber in fremde Dörfer einheiraten? Aber dann fehlen mir schnell wichtige Dorfbewohner. Allerdings erhalte ich mit einer Heirat am Anfang weitere Münzen und habe dadurch mehr Aktionspunkte. Oder soll ich lieber erst mal die Hebamme aufsuchen, um an weitere Bewohner zu kommen? Und nicht vergessen, sich schnell Siegpunkte durch das Anbieten von Waren auf dem Markt zu sichern. Ach, man könnte so viel machen und darf doch nicht. Zusätzlich muss man immer die Aktionen und Münzen der Mitspieler im Auge behalten. Plötzlich ist die laufende Runde zu Ende und ich kann meine geplanten Aktionen nicht mehr durchführen und sitze außerdem auf meinen verbliebenen Münzen fest.

Etwas schwierig und gewöhnungsbedürftig ist es, die eigenen Produktionsketten und Güter im Auge zu behalten, da dafür nicht nur die eigenen Bewohner im Dorf vor einem, sondern natürlich auch die eigenen Bewohner bei den Mitspielern genutzt werden. Das macht das Spiel auf der einen Seite interessant, aber auch etwas unübersichtlich. Alle Möglichkeiten abzuwägen und auszuloten kann einen Spieler schon mal längere ins Grübeln bringen. Die Mechanismen mit den zweigeschlechtlichen Dorfbewohnern, dem Kinderkriegen und deren Erwachsenwerden über die Schule bis zur Einheirat in einem Nachbardorf sind sehr interessant und gut miteinander verzahnt. Beim Spiel zu Zweit wird mit einem neutralen Dorf und ein paar Sonderregeln gespielt, was sehr gut funktioniert, aber etwas trocken wirkt. Zu Viert leidet die Übersichtlichkeit mehr und das Spiel kann sich hinziehen. Deshalb hat uns "Helvetia" am besten zu Dritt gefallen.

Fazit
Der Kosmos-Verlag, welcher eher im Bereich Familienspiele unterwegs ist, hat mit "Helvetia" einen gelungenen und anspruchsvollen Leckerbissen serviert. Dieser trifft den Geschmack von erfahrenen Spielern. Den meisten Familienspielern ist es allerdings etwas zu vielschichtig und denkintensiv. Das Material und die Aufmachung überzeugen genauso, wie der originelle Spielmechanismus mit den weiblichen und männlichen Bewohnern, den lernwilligen Kindern und dem Einheiraten in die Dörfer der Mitspieler.



28. Januar 2012 - (ms)

Rezensionsbilder