Rezension von Le Havre


(Diese Rezension basiert auf einem Rezensionsexemplar, das uns freundlicherweise von Heidelberger Spieleverlag bereitgestellt wurde.)

Rezension

Ersteindruck
Nach Agricola kann man einfach nicht anders, als sich auf "Le Havre" zu freuen - allerdings immer etwas besorgt, dass die eigenen (hohen) Ansprüche nicht ganz erfüllt werden könnten. Doch schon der Ersteindruck stimmt auf ein gelungenes Spiel ein. Der illustratorische Stil, der sowohl auf dem Cover als auch im Spiel verfolgt wird, gefällt mir recht gut. In der Verpackung wimmelt es dann nur so vor Markern - über 400 Papp-Marker warten auf die Spielerschaft. Sie wirken teilweise recht klein und da sie beidseitig verwendet werden müssen, ist hier die Unterscheidbarkeit manchmal etwas schwierig. Neben ein paar Holzspielsteinen finden sich auch mehr als 100 Karten im Spiel. Insgesamt kann man sich also nicht über zu wenig Spielmaterial beklagen.

Die Anleitung und das Glossar schrecken im ersten Moment etwas ab - sind aber beim ersten Durchlesen (und auch später beim Nachschlagen) wirklich als gelungen zu bezeichnen. Übersichtlich gegliedert und immer ausreichend bebildert führen sie in das Regelwerk ein und vermitteln die ersten Spielzusammenhänge.

Thema & Ziel des Spiels
"Le Havre" - "Der Hafen" - ist nicht nur ein französisches Wort sondern auch der Name eine Stadt, die den zweitgrößten Hafen Frankreichs besitzt. Auch die Spieler haben es bei diesem Spiel mit den im Hafen ankommenden Waren zu tun - außerdem gilt es auch die Versorgung der Arbeiter mit Nahrung zu sichern und möglichst gewinnbringend die Waren weiter zu verwenden.

Wer am Ende des Spiels, das meiste Geld (Franc) sammeln konnte, gewinnt das Spiel.

Spiel-Vorbereitungen
(Im Folgenden wird vorrangig die Komplettversion beschrieben. Abweichungen der Kurzversion sind nicht immer angegeben.)
Zunächst einigen sich die Spieler, ob sie die Komplett- oder die Kurzversion des Spiels spielen wollen. Dann werden die 3 Spielpläne nebeneinander in die Tischmitte gelegt. Die 7 Nachschubplättchen werden gemischt und verdeckt auf die 7 Wasserfelder gelegt. Jeder Spieler erhält einen Personenstein, ein Schiff sowie eine Übersichtskarte. Die Waren- und Geldmarker werden auf die Vorratsfelder gelegt und dienen als Nachziehstapel. Je nach Spielversion erhalten die Spieler nun eine Grundausstattung von Waren und auch die Angebotsfelder erhalten einen ersten Vorrat. Weiterhin werden die ersten Startgebäude der Stadt offen ausgelegt (ebenfalls unterschiedlich je nach Version). Die Sondergebäude werden gemischt und 6 Karten davon verdeckt auf den passenden Stapel gelegt. Aus den Gebäudekarten werden je nach Version und Spielerzahl ggf. Karten aussortiert - der Rest wird gemischt, auf 3 Stapel verteilt und offen und aufsteigend nach Ordnungszahl sortiert auf die 3 Bauvorhabenstapel verteilt. Die passenden Rundenkarten werden nach Runde sortiert auf das entsprechende Feld gelegt. Schuldscheinkarten, Rundenübersicht und Nahrungsplättchen kommen in Griffweite.

Spielablauf
(Im Folgenden wird vorrangig die Komplettversion beschrieben. Abweichungen der Kurzversion sind nicht immer angegeben.)
Das Spiel geht reihum - nach jeweils 7 Spielzügen endet eine Runde. Nach Ablauf der vorgegebenen Rundenzahl folgt eine Schlussphase - danach endet das Spiel.

Ist ein Spieler an der Reihe, führt er zwei Pflichtaktionen und freiwillige Zusatzaktionen (jederzeit im eigenen Spielzug) durch. Die folgenden Pflichtaktionen führt der Spieler in dieser Reihenfolge durch:

Nachschubaktion:
Der Spieler setzt sein Schiff auf das nächste freie Wasserfeld und deckt (in der ersten Runde) das Nachschubplättchen auf. Die auf den Plättchen aufgeführten Waren werden aus dem Vorrat in das jeweilige Angebot gelegt. Setzt der Spieler sein Schiff auf das "Zinsen"-Plättchen müssen alle Schuldscheininhaber 1 Franc an Zinsen bezahlen - ist dies nicht möglich, müssen Gebäude oder Schiffe verkauft oder ein neuer Schuldschein genommen werden.

Hauptaktion:
In der Hauptaktion wählt der Spieler aus folgenden 2 Möglichkeiten aus:
  • Waren nehmen: Der Spieler nimmt eine alle Waren von einem Angebotsfeld und legt diese mit der Standardseite vor sich ab.
  • Gebäudeaktion: Der Spieler versetzt seinen Personenstein auf ein unbesetztes Gebäude und führt die Aktion, die dieses Gebäude erlaubt, aus. Nutzt ein Spieler ein fremdes Gebäude (Gebäude der Stadt oder Gebäude eines Mitspielers), muss dafür Eintritt bezahlt werden. Diese ist rechts oben auf der Gebäudekarte vermerkt. Hinweis: Nahrung kann immer 1:1 durch Geld ersetzt werden.

Folgende Zusatzaktionen kann der Spieler jederzeit in seinem Spielzug durchführen:
  • Gebäude kaufen: Gebäude, die sich im Besitz der Stadt befinden oder die in den Bauvorhaben oben ausliegen können für den links oben angegebenen Kaufpreis erworben werden.
  • Schiff kaufen: Die aufgedeckten und oben ausliegenden Schiffe können für den links oben angegebenen Kaufpreis erworben werden.
  • Verkaufen: Gebäude und Schiffe können für den halben Kaufpreis an die Stadt verkauft werden.

Gebäude und Schiffe können mittels Gebäudeaktionen auch gebaut werden - dafür sind entsprechend der Karte Baustoffe zu zahlen. Nach jedem siebten Spielzug (wenn ein Spieler sein Schiff auf das siebte Feld gestellt hat), endet eine Spielrunde. Nachdem dieser Spieler seinen Zug beendet hat, werden folgenden Aktionen durchgeführt - diese sind auf der Rundenkarte bei der entsprechenden Spielerzahl angegeben:
  • Erntezeit: Wenn eine Erntezeit stattfindet, erhält jeder Spieler, der mindestens 1 Korn besitzt, ein weiteres Korn. Weiterhin erhält jeder Spieler der mindestens 2 Vieh besitzt, ein weiteres Vieh hinzu.
  • In der Ernährungsphase muss jeder Spieler die angegebene Anzahl an Nahrung abgeben - für jedes Schiff, das ein Spieler besitzt, reduziert sich die aufzubringende Nahrung.
  • Ggf. werden die Gebäude der Stadt um neue Karten ergänzt. Es kann ein neues Sondergebäude oder ein reguläres Gebäude (das mit der niedrigsten Ordnungszahl) ins Spiel kommen.
  • Die Rundenkarte wird am Ende umgedreht und als neues Schiff auf den entsprechenden Schiffstyp-Stapel gelegt.

Nach Auswertung der letzten Rundenkarte folgt eine letzte Schlussaktion. Jeder Spieler kann nun noch genau eine Hauptaktion durchführen. Anschließend zählen alle Spieler ihre Gebäude- und Schiffswerte, Zusatzwerte von Gebäuden und das Barvermögen zusammen und ziehen für jeden Schuldschein 7 Franc ab. Es gewinnt der Spieler mit dem meisten Geld.

Fazit
Nach einem sehr erfolgreichen Spiel ist es für einen Autoren immer sehr schwierig ein Spiel "nachzulegen", was den hohen Anforderungen der Spielergemeinschaft zumindest entsprechen kann. "Le Havre" ist "das Spiel nach Agricola" - einem der (zu Recht) erfolgreichsten Spiele der letzten Jahre. Dementsprechend hoch waren die Erwartungen an "Le Havre". Ich will nicht zu viel zwischen den Spielen vergleichen, denn "Le Havre" ist ein eigenständiges Spiel, aber ich kann sagen, es ist Uwe Rosenberg erneut gelungen ein äußerst gelungenes Spiel abzuliefern, auch wenn es in meinen Augen an Agricola nicht ganz heranreicht (es fehlt allerdings nicht viel).

Zunächst einmal steht - wie schon bei Agricola - auch bei Le Havre die Taktik und die Optimierung der vielfältigen Möglichkeiten im Mittelpunkt. Immer hat man (viel) mehr Zug-Möglichkeiten als einem lieb ist und so ist man den Großteil der Zeit damit beschäftigt, den - für sich - richtigen Weg zu finden, um das Spiel zu gewinnen. Dies führt dazu, dass die an sich schon recht lange Spieldauer durch "Denkpausen" noch weiter ausgedehnt wird - wie in der Anleitung geschrieben, ist pro Spieler eine Stunde Spieldauer einzuplanen. Eine Partie mit drei Spielern wird aller Voraussicht nach, nicht unter 3 Stunden beendet sein. Das ist eine sehr lange Zeit; für manche zu lang. Doch auch hier hat Uwe Rosenberg ein Hilfsmittel parat: Die Kurzversion. Im Gegensatz zu Agricola ist dies aber nicht eine abgespeckte Spielvariante sondern einfach eine Reduzierung der Spielrunden gepaart mit einigen Änderungen an Nachschub und Zahlenspiel. Aber auch hier ist für drei Spieler durchaus eine Spieldauer von mindestens 2 Stunden einzuplanen. Hier muss jeder selbst entscheiden, ob die Spieldauer den eigenen Vorlieben entspricht oder nicht. Mich stört die lange Spielzeit nicht, da ich großartig "unterhalten" werde und die Zeit zwischen 2 eigenen Spielzügen nicht zu lange dauert, aber es gibt leider keine Möglichkeit für ein Spiel "zwischendurch".

Bis auf 5 Spieler habe ich das Spiel mit allen Spielerzahlen gespielt und muss sagen, dass es sich in jeder Besetzung gut spielt. Auch das Solospiel ist herausfordernd und bietet eine Alternative, wenn gerade einmal keine Mitspieler zur Verfügung stehen.

Im Prinzip richtet sich auch Le Havre (wie Agricola) an "Optimierer", d.h. Spieler, die Spaß daran haben, eine Situation zu analysieren und die eigene Strategie stetig anzupassen. Dies setzt Le Havre hervorragen um, denn es gibt nicht die eine Siegstrategie sondern immer mehrere Möglichkeiten. Ständig ist man am Grübeln, was denn nun der beste Zug wäre.

Auch das Spielmaterial ist großteils als gelungen zu bezeichnen. Der grafische, teils comic-artige Stil hat mir gut gefallen. Sehr positiv sind auch die vielen Spielhilfen, die sich an allen Ecken und Enden finden: auf Karten, auf Marker und auf dem Spielbrett. Und wenn doch mal eine Frage offen ist, hilft die Anleitung oder das Glossar sicher weiter. Einzig die Rohstoffmarker wirken etwas zu klein und undifferenziert - Vorder- und Rückseite lassen sich teilweise nur schwer auseinander halten und auch die Farbgebung ist bei etwas schlechteren Lichtverhältnissen teilweise etwas schwer zu unterscheiden. Ein letzter kleiner Kritikpunkt: Auch hier fehlt wieder eine vernünftige Aufbewahrung für das Spielmaterial - zumindest werden genügend Plastiktütchen mitgeliefert, die eine Sortierung vereinfachen.

Zusammenfassend kann man Use Rosenberg auch zu "Le Havre" gratulieren. Ein erneut sehr gelungenes Strategie-Spiel, das äußerst vielfältig und abwechslungsreich zu spielen ist. Wem es nichts ausmacht einen ganzen Spieleabend für eine Partie zu "opfern" dürfte hier gut bedient werden. Wie Agricola ist es aber auch ein Spiel, das man "lernen" muss - mit jeder Partie steigt die Erfahrung und die Übersicht über die Zusammenhänge, was ein nicht zu unterschätzender Vorteil sein kann.



06. September 2009 - (tp)

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