Rezension von Euphrat & Tigris


(Diese Rezension basiert auf einem Rezensionsexemplar, das uns freundlicherweise von Pegasus Spiele bereitgestellt wurde.)

Rezension

Ersteindruck
Die große, schwere Packung verspricht reichhaltige Spielmaterialien. Das Cover ist schön und stimmungsvoll gezeichnet. Was mir zuerst aufgefallen ist, bei diesem Spiel, sind die qualitativ hochwertigen Spielmaterialien: Stoffbeutel, feste Marker sowie mehr als hundert Holzteile (Marker, Siegpunktwürfel, Monumente...) zeigen, dass bei Pegasus mit viel Liebe zum Material gearbeitet wurde - ein guter Gegenwert für sein Geld. Die 12-seitige Anleitung ist reich bebildert und mit Beispielen ausgefüllt. Trotzdem muss ich gestehen, beim ersten Durchlesen so meine Probleme gehabt zu haben, was die Spielregeln betrifft - das lag nicht etwa an einer schlechten Beschreibung, sonder sowohl an der Abstraktheit der Spielmöglichkeiten als auch an der Vielzahl der verwendeten Spiel-Begriffe. Euphrat & Tigris ist ein Spiel, bei dem man die Anleitung (zumindest am Anfang) nicht zu weit von der Spielfläche entfernt liegen haben sollte - allerdings gehen die Spielabläufe recht schnell in Fleisch und Blut über, so dass allerspätestens beim 2. Spiel keine Anleitung mehr notwendig ist.

Thema & Ziel des Spiels
3.000 Jahre vor unserer Zeit im Zweistromland zwischen Euphrat und Tigris. Neben fruchtbaren Feldern, blühenden Zivilisationen, aufstrebender Wissenschaft liegt das Thema dieses Spiels. Als Herrscher über eine von 4 Dynastien gilt es, die eigenen Gebiete möglichst weit zu entwickeln.

Ziel von Euphrat & Tigris ist es die eigene Zivilisation in den 4 Bereichen Bevölkerung, Tempel, Landwirtschaft und Markt möglichst gleichmäßig auszubauen. Jede dieser 4 Bereich erhält getrennt Siegpunkt. Aber Achtung: Gewonnen hat nicht der Spieler, der am Ende die meisten Siegpunkte hat, sondern derjenige, der in seinem schlechtesten Bereich mehr Siegpunkte hat, als die Mitspieler in ihren schwächsten Bereichen.

Spiel-Vorbereitungen
Das Spielbrett ist beidseitig bedruckt und zuerst muss man sich für eines der beiden Spielfelder (klassisch bzw. alternativ) entscheiden. Auf die Felder mit den geflügelten Wesen kommt ein Tempel-Kärtchen sowie ein beiger Schatz-Siegpunkt. Jeder Spieler erhält 2 Katastrophen-Marker und 4 runde Holzscheiben in 4 Farben. Die Zivilisations- Marken kommen in den Beutel und jeder Spieler zieht 6 Marker, die er hinter seinen Sichtschutz legt. Weiterhin müssen noch die Monumente in den 6 vorgegebenen Farbkombinationen zusammengebaut werden. Das war es auch schon, Euphrat & Tigris ist schnell aufgebaut.

Spielablauf
Das für meinen Geschmack ungewöhnlichste bei diesem Spiel zuerst: Es gibt keine Spielerfarben - jeder Spieler hat 4 Holzscheiben (Anführer genannt) in den vier Farben grün, rot, blau und schwarz. Lediglich das aufgedruckte Symbol unterscheidet die Spieler voneinander.

Die Farben unterscheiden bei Euphrat & Tigris die verschiedenen Bereiche der Zivilisation:
  • rot = Tempel (der rote Anführer ist der Priester)
  • grün = Markt (der grüne Anführer ist der Händler)
  • blau = Landwirtschaft (der blaue Anführer ist der Bauer)
  • schwarz = Bevölkerung (der schwarze Anführer ist der König)


Jeder Spieler kann zwei der folgenden vier Aktionen während seines Spielzuges durchführen (auch 2x die gleiche Aktion), bevor er die Anzahl seiner Marker wieder auf 6 erhöht (durch Nachziehen aus dem Beutel) und der nächste Spieler mit seinen Aktionen an der Reihe ist.
  • Einen Anführer verschieben, auf die Hand nehmen oder auslegen. Dabei ist zu beachten, dass Anführer nur auf freie Felder neben (=waagrecht oder senkrecht) Tempeln gelegt oder umgelegt werden dürfen - allerdings nicht auf Flussfelder.
  • Zivilisations-Marker legen. Blaue Marker dürfen dabei nur auf Flussfelder, andere Marker nicht auf Flussfelder gelegt werden
  • Katastrophen-Marker legen. Diese Felder sind bis zum Spielende blockiert. Evtl. vorher dort liegende Marker kommen aus dem Spiel
  • Bis zu 6 Marker tauschen. Der Spieler kann Marker ablegen und dafür neue nachziehen.


Es gibt zwei unterschiedliche Bereiche auf dem Spielfeld, die von Bedeutung sind: Gebiete und Königreiche. Gebiete sind zusammenhängende Bereiche von Markern, die waagrecht oder senkrecht ohne Lücken aneinander liegen. Königreiche sind Gebiete, die zusätzlich mindestens einen Anführer enthalten.

Ziel des Spiels ist es, Siegpunkte in den vier Farben der Anführer zu sammeln. Diese kann man auf verschiedene Art erlangen:
  • Man legt einen Zivilisationsmarker in ein Königreich. Dann erhält ein Anführer in der gleichen Farbe wie der gelegte Marker einen Siegpunkt (das muss nicht unbedingt der aktive Spieler sein!). Ist kein gleichfarbiger Anführer vorhanden, erhält ein der Spieler mit einem König in diesem Königreich einen Siegpunkt, falls einer vorhanden ist.
  • Durch das Austragen von Konflikten (dazu weiter unter mehr)
  • Am Ende des Spielzugs erhält der aktive Spieler Siegpunkt, falls er einen Anführer in einem Königreich mit einem Monument hat, das der Farbe seines Anführers entspricht - Achtung: Die Monumente sind immer zweifarbig, d.h. es kann mehrere Siegpunkte geben
  • Wurde das Königreich so erweitert, dass sich zwei Schätze darin befinden, kann ein Spieler, der einen Bauern in diesem Königreich liegen hat einen der Schatzsiegpunkte nehmen.


Konflikte sind ein zentraler Bestandteil von Euphrat und Tigris und sorgen dafür, dass sich das Erscheinungsbild auf dem Spielbrett ständig wechselt. Konflikte entstehen entweder, wenn man einen Anführer in ein Königreich legt, in dem sich bereits ein Anführer der gleichen Farbe befindet oder wenn man einen Zivilisations-Marker legt, damit zwei Königreiche verbindet und dadurch ebenfalls Anführer der gleichen Farbe im Königreich vorhanden wären. Im ersten Fall (= Legen eines Anführers) zählen nun beide Spieler die Tempel, die direkt waagrecht oder senkrecht am Anführer der betreffenden Farbe liegen. Beide Spieler können nun noch Tempel von der Hand dazulegen und wenn der neu gelegte Anführer mehr Tempel vorweist, wird der "alte" entfernt. Dies bringt dem Gewinnen in jedem Fall einen roten Siegpunkt. Im zweiten Fall (= Legen einer Zivilisationsmarke) zählen beide Spieler die Marker in ihrem ursprünglichen Königreich, die der Farbe der Konfliktanführer entsprechen. Beiden können nun ebenfalls Marker dieser Farbe von der Hand dazu legen. Der unterlegene Anführer wird nun mit allen Markern dieser Farbe entfernt und der Gewinner erhält für den Anführer und für jeden Marker einen Siegpunkt in dieser Farbe.

Letzte Möglichkeit in Euphrat & Tigris ist der Bau von Monumenten. Liegen vier gleichfarbige Marker in einem Quadrat, kann der aktive Spieler dort ein Monument bauen, welches ebenfalls Siegpunkt einbringt.

Das Spiel endet, wenn nur noch maximal 2 Schätze auf dem Spielbrett liegen oder keine Karten mehr im Beutel sind.

In den Regeln befindet sich noch eine Spielvariante, die noch mehr Spieltiefe einbringt, indem ein Spieler Gebäude errichten kann, wenn er Reihen oder Spalten von 3 gleichfarbigen Markern errichtet hat. Diese Gebäude bringen weitere Siegpunkte.

Fazit
Mein erster Eindruck von Euphrat & Tigris (nach dem erstmaligen Lesen der Anleitung) war: Puuuhh ... klingt kompliziert. Die erste (und in meinen Augen) einzige Hürde ist das verinnerlichen der Regeln, die sehr kompliziert klingen, aber eigentlich recht überschaubar sind. Am Besten mit Anleitung gleich an das erste Spiel wagen!

Etwas ungewöhnlich ist es, dass es keine Spielerfarben gibt, sondern sich die Spieler nur durch das Logo unterscheiden, was auf den Anführern aufgedruckt ist - hier muss man anfangs gut aufpassen, um nicht den Überblick zu verlieren. Zum Thema Überblick: Euphrat & Tigris lässt dem Spieler dermaßen viele Möglichkeiten das Spiel zu beeinflussen, dass es eine Weile dauert, bis man grob abschätzen kann, was sinnvoll und was weniger sinnvoll ist. Der Glücksfaktor beschränkt sich auf das Ziehen von Markern - in meinen Augen nicht zu viel Glück in diesem sehr taktischen Spiel. Der Glücksfaktor kann aber durchaus die eine oder andere Planung zunichte machen.

Die erste Skepsis gegenüber diesem Spiel ist bereits Mitte des erstens Spiels vollkommen verflogen. Ich habe selten ein so taktisch anspruchsvolles Spiel erlebt - und das bei eigentlich wenigen (einfachen) Regeln. Mich begeistert das Spiel und ich freue mich schon auf weitere Partien. Euphrat & Tigris ist definitiv ein Spiel, das man mehrfach spielen muss, um es zu durchschauen. Diese Spieltiefe führt aber dazu, dass Euphrat & Tigris definitiv kein Spiel für zwischendurch ist - man sollte sich Zeit dafür nehmen und es vorallem mehrfach spielen.

Gelegenheitsspieler werden es aus diesen Gründen eventuell schwer mit Euphrat & Tigris haben - Spieler, die Wert auf strategischen Tiefgang legen, werden es vermutlich lieben. Es erinnert durch seine Vielzahl an Möglichkeiten an Schach - zu jedem Spielzug bieten sich dermaßen viele Möglichkeiten zu seinen Punkten zu kommen, dass Denkpausen die Regel sind.

Ungewöhnlich (aber sehr geschickt und spannend) ist die Ermittlung des Gewinners. Man muss alle 4 Siegpunktfarben möglichst gleichmäßig sammeln - es bringt nichts, in einer Farbe 25 Siegpunkte und in einer anderen nur 5 Punkte zu haben. Auch dies ist ein Faktor, den man während des Spiels besser nicht vergessen sollte. Kurzum: Euphrat & Tigris ist in meinen Augen ein Spiel, das einen entweder fasziniert oder mehr oder wenig kalt lässt. Ich persönlich habe definitiv ein Spiel entdeckt, dass ich hoffentlich noch oft aus dem Schrank holen werde.



26. August 2007 - (tp)

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