Rezension von Adventure Island


(Diese Rezension basiert auf einem Rezensionsexemplar, das uns freundlicherweise vom Verlag Pegasus Spiele bereitgestellt wurde.)

Rezension

Adventure Island
Auf einer einsamen Insel gestrandet, jenseits unseres stressigen Alltags und der Arbeit, jenseits der alltäglichen Sorgen um Familie, Job, Klima und wie man das alles bloß unter einen Hut bringen soll, wollen wir natürlich nichts anderes als: Bloß wieder weg von hier! So war es bei Robinson Crusoe aber auch bei Tom Hanks in Cast Away. Aber wie nur stellen wir das? Unser Schiff ist ja schließlich futsch, wir sind mit den wenigen anderen Überlebenden auf uns alleine gestellt und da ist nur das Meeresrauschen und unser Herzklopfen...

Spielablauf
Die Grundregeln sind denkbar einfach. Jeder der Mitspielenden besitzt zwei Spielfiguren, die pro Spielrunden/Tag eine Ortsaktion ausführen können. Zusätzlich besitzt jeder von uns ein Charaktertableau, auf welchem eine Sonderfähigkeit und der Grad unserer Stärken und Schwächen in den Fähigkeiten Wissen, Geschick und Kraft angegeben sind. In jedem der fünf Szenarien müssen wir gemeinsam ein bestimmtes Ziel erreichen: Im ersten gilt es ein Feuer zu machen und eine sichere Unterkunft zu finden. Über die aktuell ausliegenden Ortskarten handeln wir. Zu Beginn können wir lediglich Nahrung suchen, am Strand nach Treibgut suchen, einen Unterschlupf bauen oder die Umgebung erkunden. Durch unsere Erkundungen bringen wir weitere Ortskarten ins Spiel, beschaffen uns Gegenstände, Werkzeuge und Nahrung. Einige Aktionen erfordern eine Würfelprobe, bei der wir unser Würfelergebnis mit unseren Fähigkeiten oder einem anderen geforderten Ergebnis vergleichen müssen. So kommt ein bisschen Zufall ins Spiel. Haben wir unsere Aktionen durchgeführt beginnt der Tag zu dämmern und unsere Mägen an zu knurren. Jeder von uns muss nun Essen. Wenn er das nicht kann, weil wir beim Fischen danebengegriffen haben, die Suche im Urwald ergebnislos war oder das Wildschwein entkommen ist, dann erhalten wir einen Erschöpfungsmarker, mit dem wir irgendwann auch unsere Fähigkeiten abdecken müssen. Sollten alle Fähigkeiten abdeckt sein, so scheitert das Szenario und wir haben alle verloren. Daher sind wir gut beraten am Tage für ausreichend Essen zu sorgen. Nach dem Essen ziehen alle Mitspielenden eine Unheilkarte. Lief der Tag noch gut und entspannt, spätestens hier kann er dann noch versaut werden: Da stolpert dann jemand über das Feuer, Moskitos greifen an oder Affen rauben uns unsere Essensvorräte. Haben wir das Ziel erreicht und das Szenario erfolgreich abgeschlossen, so können wir das nächste der fünf angehen. Dabei fangen wir mit Ausnahme einiger weniger Änderungen in der Kartenauslage grundsätzlich wieder von vorne an: Unsere Charaktere und unser Lager werden wieder komplett auf null gestellt und wir müssen wieder von vorne die Umgebung erkunden und Gegenstände finden.

Gesamteindruck
Storytelling ist bei Brettspielen gerade sehr en vogue: Die Legenden von Andor, T.I.M.E Story, die Spiele mit dem Legacy-Konzept. Und das nicht zu unrecht wie ich finde. Geht es doch beim Spielen auch darum in einer begrenzten Zeit in eine andere, fremde Rolle zu schlüpfen und während dieser Zeit einfach mal nur zu tun als ob. Die vielen derzeitigen Versuche nicht nur ein Spiel herzustellen, mit dem wir uns anderthalb bis zwei Stunden beschäftigen, sondern in dessen Geschichte wir hineinschlüpfen können, bei dem wir Entscheidungen treffen, die über das aktuelle Spiel hinausreichen können und die uns erst Spielrunden später wieder einholen können finde nicht nur spannend, sondern auch extrem bereichernd für das Medium Brettspiel. Nun versucht sich also Pegasus an einer Robinsonade. Sehr begrüßenswert! Trotzdem sind da große ausgetretene Fußstapfen im Sand bei diesem Spielthema. 2012 erblickten sowohl Robinson Crusoe – Abenteuer auf der verfluchten Insel als auch Naufragos das Licht der Welt.

Das kooperative Robinson Crusoe hat vieles richtig gemacht damals und dementsprechend folgten dem Spiel auch mehrere Erweiterungen. Zwar ist die Spielanleitung mit über 30 Seiten nicht gerade schmale Kost, aber dafür sind alle Eventualitäten erklärt und ausführlich beschrieben. In mehreren von einander völlig unabhängigen Szenarien versuchen wir eine bestimmte Aufgabe zu lösen, um uns dadurch wieder von der Insel, auf der wir gestrandet sind, zu befreien. Das semikooperative Naufragos war da anders: Die Story war sehr viel dichter und in gewisser Weise könnte man das Spiel als einen frühen Vorläufer des T.I.M.E Story-Prinzips bezeichnen, da es wie T.I.M.E Story in der Tradition dieser Abenteuerbücher für Jugendliche steht, bei denen der Leser ein Rätsel lösen muss und selbst zum Handelnden der Geschichte wird („Hast du einen Schlüssel, dann addiere dessen Zahlaufdruck mit der Nr. der Zimmertür und lese bei dem Ergebnis der Summe weiter. Hast du keinen Schlüssel, dann lies bei xy weiter“). Wie bei Robinson Crusoe müssen wir uns ernähren, Gegenstände entdecken und sammeln, einen Unterschlupf bauen. Anders als dort können sich inhaltliche Entscheidungen aber sehr auf den späteren Spielverlauf auswirken. Verärgern wir früh die Eingeborenen, so sollten wir später besser stärker als sie sein, sonst landen wir im Suppentopf. Haben wir Gegenstände verschenkt, so können wir sie später nicht mehr bei einem Angriff oder zu Jagd einsetzen, können aber vielleicht durch die Gabe Freunde gewinnen. Wie wir uns entscheiden kann sich auswirken, muss es aber nicht – fast wie im echten Leben. Ich mochte die Grundidee von Naufragos wirklich gerne. Leider machten Autoren und Verlag den Fehler, das Spielprinzip und die vielen Eventualitäten nur sehr unzureichend zu erklären. Obwohl es damals sogar eine überarbeitete Spielregel gab, war das Spiel fast nicht spielbar. Ständig musste man nachschlagen, ob dies nun wirklich wieder nicht erklärt war, oder ob man es nur übersehen hatte. Einige grundlegende Spielabläufe waren so unklar formuliert, dass man sie sich nur mit sehr gutem Willen und viel Fantasie zusammenreimen konnte und trotzdem nicht sicher war, ob man das nun richtig spielte oder nicht.

Warum erzähle ich das nun alles? Adventure Island kommt ganz nach Naufragos. Sowohl mit der inhaltlichen Storytelling-Komponente, leider aber auch was die Regeln angeht. Es ist wie damals bei Naufragos: Die Regeln missverständlich, doppeldeutig, unvollständig und das wenige ist schlecht aufbereitet worden. Grob gesagt bestehen die Regeln aus zweieinhalb Seiten und ein paar Worten zu den Szenarien. Außerdem gibt es einen Leitfaden und noch ein FAQ, beides jeweils anderthalb Seiten lang. Das mag für die Grundregeln ausreichen, aber zum einen hätten Beispiele den Regeln gut getan, zum anderen hätte es ein Glossar für die Karten gebraucht. Und in den FAQ sind leider lediglich Dinge erklärt, die auch schon in den Regeln stehen, aber eben nicht Fragen, die beim Spielen auftreten und nicht in den Regeln stehen. Und obwohl die Regeln nicht komplex und wirklich einfach sind, hätte auch eine Ablaufübersicht dem Spiel gut getan, damit nicht irgendetwas vergessen oder unbeabsichtigt falsch gemacht wird.

Nur ein Beispiel, was für Fragen ständig auftauchen: Laut einer Unheilkarte stolpern wir Nachts über das Feuer und dieses geht aus. Wir besitzen aber eine Fackel, mit der das Lagerfeuer nicht verlöschen kann. Geht das Feuer nun aus oder nicht? Wäre das ein Einzelfall, bei dem man seinen gesunden Menschenverstand einsetzt und dann in der Gruppe entscheidet was uns am logischsten vorkommt, dann wäre dies sicherlich kein Problem. Solche Frage tauchen aber ständig auf. Und noch etwas ist nicht rund: Um Abenteuer zu bestehen braucht es bestimmte Karten. Je nachdem wie wir uns anstellen kommen wir mal schneller und mal langsamer durch bestimmte Kartenstapel. Nicht alles haben wir in der Hand, wie im echten Leben. Das ist gut so und gehört meiner Meinung nach sogar zu so einem Spiel dazu. Aber: Wenn manche Partien von vorne herein zum Scheitern verurteilt sind, weil der Zufall es will, das bestimmte Karten so weit unten in den Kartenstapeln einsortiert sind, dass wir sie einfach nicht rechtzeitig erreichen und wir wiederum andere Karten, die es uns ermöglicht hätten schneller zu diesen Karten zu gelangen ebenfalls einfach nicht kommen wollen, dann frustriert das. Sicherlich, auch im real life sind manche Abenteuer von vorne herein zum Scheitern verurteilt, einem Spiel gibt dies aber den Todesstoß, schließlich sind wir hier nicht beim Kobayashi-Maru-Test.

In der Spielschachtel scheint auch ein gutes System integriert, wie man die vielen Karten aufbewahren kann. Zusätzliche Papptrenner zeugen davon, dass sich jemand Gedanken gemacht hat, wie man die Karten nach einer Partie so in der Schachtel aufbewahrt, dass man genau die richtigen in der nächsten Partie auch wiederfindet. Nur: Nirgendwo ist erklärt, wie man dieses System anwendet. Und so fragen wir uns vor jeder Partie ob wir eigentlich die richtigen Karten in den Stapeln haben, suchen nach Karten, stellen irgendwann fest, dass wir einige gar nicht hätten auslegen dürfen, andere aber müssen, was wir wiederum nicht getan haben. Es ist zum Haare raufen und vermiest einem die letzte Sympathie für das Spiel. Bitter ist das auch weil wir Neugierig sind auf das was da in den weiteren Szenarien noch kommt, die schönen stimmungsvollen Kartengrafiken die Story noch verstärken und wir eigentlich weiterspielen wollen. Es ist mir wirklich unbegreiflich, wie der Verlag ein solches Spiel produzieren kann, wenn vor gar nicht mal so langer Zeit ein ähnliches Spiel mit genau demselben Regelproblemen herausgebracht worden ist.

Fazit
„Es hätte so schön werden können!“ wirbt der Verlag auf der Rückseite der Schachtel. Ja, es hätte wirklich schön werden können und die Anlagen sind dafür auch in der Idee und in dem Konzept vorhanden. Leider haben Verlag und Autoren (oder beide) Adventure Island sprichwörtlich in den Sand gesetzt: Die schmalen Regeln führen dazu, dass wir uns mehr an dem Spiel ärgern als erfreuen. Das erste Szenario ist noch spielbar, anschließend geht es steil bergab. Wer das Setting dennoch mag kann und sollte zu Robinson Crusoe greifen, ebenfalls bei Pegasus erschienen!

12. Juli 2019 - (Jan Drewitz)

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